#1: Analysis of bar paths during the snatch in elite male weightlifters

Analyse der Hantelbewegung im Reißen bei männlichen Elite-Gewichthebern

von Dr. Ingo Sandau

Theoretischer Hintergrund und Anliegen

 

Viele wissenschaftliche Untersuchungen analysieren im Gewichtheben die seitliche Hantelbewegung (Ortskurve), um eine optimale Ortskurve zu ermitteln. Zur korrekten Ausführung der Ortskurve existieren viele verschiedene Ansichten und Meinung. In der Literatur bestehen besonders hinsichtlich der horizontalen Verlagerung der Hantel vom Startpunkt bis in die Hockposition unterschiedliche Auffassungen. Einige Trainer und Wissenschaftler postulieren, dass im Reißen zwischen dem Startpunkt und der Hochposition keine horizontale Verlagerung der Hantel stattfinden sollte (Position der Hantel in der Hocke ist die gleiche horizontale Position wie zum Start). Andere wiederum erachten eine horizontale Rückverlagerung der Hantel als notwendig und besser. Ungeachtet dieser „Philosophien“ herrscht allgemeiner Konsens bei Wissenschaftlern und auch Trainern, dass eine zu große horizontale Bewegung der Hantel unzweckmäßig für das Reißen ist.

 

Das Anliegen der Autoren ist es, nachzuweisen, dass eine zu große horizontale Verlagerung der Hantel (egal ob vor oder zurück) für das Reißen ungünstig ist. Große horizontale Verlagerungen der Hantel erfordern eine Vor- oder Rückbewegung des Sportlers selbst, um die Hantel in der tiefen Hocke zu fixieren. Die unnötigen horizontalen Bewegungen stellen wiederum erhöhte Anforderungen an die Kraftfähigkeiten des Sportlers. Zudem sind die Autoren der Ansicht, dass nicht nur die optimale horizontale Verlagerung allein für den Erfolg im Reißen verantwortlich ist, sondern die Bedingungen für eine gültige Hebung multifaktoriell sind.

 

Untersuchung

 

Die Wissenschaftler erfassten mit dem V-Scope-System (ein infrarot-/ultraschallbasiertes Messsystem, das mithilfe eines Markers am äußeren Ende der Hantel die Hantelbewegung erfasst; in Deutschland war dieses System unter dem Namen „Black Box“ bekannt) Wettkampfversuche im Reißen bei amerikanischen Meisterschaften der Männer. Die analysierten Parameter der Hantelbewegung sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Wissenschaftler teilten die Athleten in 4 Gruppen auf Grundlage ihrer relativen Leistungsfähigkeit (max. Hantellast pro Kilogramm Körpergewicht) und unterschieden zwischen gültigen und ungültigen Versuchen.

Abbildung 1


Ergebnisse und sportpraktische Ableitung

 

Die Autoren konnten aufzeigen, dass es nicht möglich ist einen gültigen Versuch im Reißen anhand eines einzelnen Faktor zu erkennen. Tendenziell scheinen 4 Faktoren mit einer gültigen Hebung in Zusammenhang zu stehen: 1. eine höhere maximale Kraftabgabe in der Beschleunigungsphase, 2. eine höhere mechanische Leistungsabgabe in der Beschleunigungsphase, 3. eine geringeres „Schleudern“ der Hantel (DxL) sowie 4. eine angemessene horizontale Rückverlagerung von der Startposition bis in den Hockesitz (DxT) (siehe Abbildungen 2 und 3). Für einen gültigen Versuch im Reißen ist es demzufolge notwendig, dass die Hantel im Hockesitz hinter der Startposition (Ausgangssenkrechte) fixiert wird. Überschreitet die Rückverlagerung im Hockesitz Werte >20 cm, dann konnten die Versuche in 76% der Fälle nicht gültig gestaltet werden. Vergleichbar verhält es sich mit der horizontalen Verlagerung im Umgruppieren. Wird hier der „Loop“ (DxL) mit einer horizontalen Verlagerung >20 cm ausgeführt, dann führte dies in 100% der Fälle zu einem ungültigen Versuch. Gültige Versuche wurden dagegen im Mittel mit ca. 10 cm im „Loop“ gestaltet.

Abbildung 2

Abbildung 3


Rezension

 

Zwar benennen die Autoren Orientierungswerte für „optimale“ horizontale Verlagerungen der Hantel zu bestimmten Schlüsselstellen, eine daraus abgeleitete Empfehlung für eine zweckmäßige Ortskurve existiert jedoch nicht. Werden nachträglich die Werte eines gültigen Versuchs (Abbildungen 2 und 3) herangezogen, lässt sich eine durchschnittliche Ortskurve modellieren (Abbildung 4). Dieses Modell einer Ortskurve steht in hoher Übereinstimmung mit vorhandenen Orientierungen für das Reißen wie sie bspw. vom Bundesverband Deutscher Gewichtheber (BVDG) vertreten werden (siehe interaktiver Trainingsmittelkatalog des BVDG) und kann deshalb als allgemein gültige Empfehlung verstanden werden. In der Praxis heben alle Athleten, die eine vergleichbare Ortskurve im Reißen aufzeigen wie die hier modellierte, auf der Stelle (d.h. sie springen im Umgruppieren weder vor noch zurück). Wie bereits eingangs erwähnt ist das Heben auf der Stelle eine Voraussetzung, die vorhandenen Kraftfähigkeiten optimal auszuschöpfen und eine effiziente Hebung zu gestalten. Doch nicht nur unter dem Aspekt der Leistungsmaximierung ist das Heben auf der Stelle eine wichtige Komponente. Insbesondere unter präventiven Gesichtspunkten sind zu große horizontale Bewegungen negativ zu bewerten. Durch starke horizontale Bewegungen der Hantel entstehen beim Abbremsen ungünstige Drehmomente im Ellenbogengelenk, die oftmals in Verbindung mit Ellenbogenverletzungen stehen.

 

Abschließend muss erwähnt werden, dass die gemessenen Hantelbewegungen in dieser Untersuchung streng genommen nur für die Hantelseite Gültigkeit besitzen, auf der die Messungen vorgenommen wurden. Treten bei einer Hebung Verdrehungen zwischen den Hantelseiten auf kann dies die Ergebnisse und deren Interpretation verfälschen, da nicht auf beiden Hantelseiten die gleiche Ortskurve existiert. Zudem basieren die Ergebnisse nur auf Hebungen amerikanischer Sportler zu einem einzigen Ereignis und stellen keine Weltstandanalyse dar, weshalb die modellierte Ortskurve nicht als "Leitbild" zu verstehen ist. Sie ist vielmehr als die Variante zu anzusehen, mit der die größte Wahrscheinlichkeit bestand, im Reißen die höchste Last gültig zu heben.

Abbildung 4



Stone, M. H. et al. (1998). Analysis of bar paths during the snatch in elite male weightlifters. Strength & Conditioning, 20 (4), 30-38.


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